November 2007 Scheckübergabe der Kreissparkasse Walsrode im Werkraum des HpH Dr. Kruse an den Verein Arbeit und Begegnung zur Weiterführung desLEADER-Projektes Landschaftspflege und Begegnung

 

 

Besuch beim Verein Arbeit und Begegnung, Walsrode (D), 30.9.-1.10.2011, Andrea Kaindl

 Herr Klaus Kistner, Betreuer beim Begleitenden Dienst im Heilpädagogischen Heim Dr. Kruse, Walsrode, www.arbeit-und-begegnung.de

 Das Heim Dr. Kruse bietet für ca. 100 „nicht werkstattfähige“, schwerst-mehrfach behinderte KlientInnen einen Wohnplatz, für die im Rahmen von begleitenden Diensten Tagestrukturelemente angeboten werden (Förderung, Wahrnehmung, Lebenspraktisches, Handwerkliches bzw. kreatives Arbeiten, Freizeit). Diese Tagesstrukturangebote finden regelmäßig aber punktuell statt, eine getrennte Struktur – Wohnen und Arbeiten – gibt es nicht.

 Mit der Motivation, KlientInnen Begegnungen außerhalb der Einrichtung zu ermöglichen und ihnen auch sinnvolle Tätigkeiten anbieten zu können, begann Herr Kistner vor ca. 10 Jahren Kontakt zu einem Kaufhaus herzustellen und gemeinsam mit dem Geschäftsführer entwickelte sich ein wöchentlicher Arbeitsauftrag - Zerkleinern von Kartons – für 5 KlientInnen.

 Auf Grund der daraus gewonnenen positiven Erfahrungen, sowohl für die KlientInnen als auch von Seiten der Angestellten im Kaufhaus, wurde der Verein Arbeit und Begegnung gegründet mit einem Konzept, dass den Begriff „Arbeit“ und „Teilhabe von Schwerstbehinderten am allgemeinen Arbeitsmarkt“ neu diskutiert. Der wirtschaftliche Aspekt wird dabei bewusst ausgelassen, Teilhabe und Begegnung als zentrales Element in den Vordergrund gestellt (siehe Anlage, homepage)

 Weitere Kooperationen mit ansässigen Unternehmen entstanden in den darauf folgenden Jahren, z.B. verschiedene Instandhaltungsarbeiten im Vogelpark Walsrode, Landschaftspflege im Naturpark Lüneburger Heide, Lieferauftrag Weltladen, Getreide mahlen und Herstellung von Backmischungen in Schulen und Kindergärten, Handtücher falten in einer Wäscherei. Diese Arbeiten werden zum Teil auch gemeinsam mit Schulklassen und/oder KlientInnen anderer Einrichtungen verrichtet.

 Diese verschiedenen Arbeitsangebote haben eine gemeinsame Struktur und Rituale, um dem Aspekt „Begegnung“ Rechnung zu tragen: Begrüßung, Arbeitsaufträge für nahezu alle teilnehmende KlientInnen, um mit den Angestellten in Kontakt zu kommen, im Anschluß an die erledigten Tätigkeiten mit Angestellten gemeinsame Jause bzw. Mittagessen, Verabschiedung.

 Als Arbeitsleistung im unternehmerischen Sinn wird die Ausführung der Tätigkeiten nicht gesehen. Es sind Arbeiten, die sonst zwischendurch vom Hausmeister erledigt würden, bzw. nur wenige Minuten Zeitersparnis für die Angestellten bedeutet, wobei das Vorbereiten der Tätigkeit (z.B. Herrichten der Handtücher) auch ein bisschen Zeit benötigt. Eine finanzielle Entlohnung der KlientInnen durch die Unternehmen erfolgt daher nicht, die wirtschaftlichen Ergebnisse der verrichteten Tätigkeiten sind zu gering. Entlohnung ist Anerkennung, gemeinsame Jause bzw. Mittagessen, Anregung durch Arbeitsatmosphäre, Befriedigung des Bedürfnisses nach „sinnvoller“ Arbeit,...

Manche KlientInnen erhalten einen Geldbetrag durch Hrn Kistner aus dem Budget der KlientInnen, welches diese im Wohnheim in eine Sparbüchse geben, die anderen erhalten eine „Arbeitsbanane“ oder „Arbeitsapfel“ ein System, das schon länger in der Einrichtung praktiziert wird, um den Abschluß einer Fördereinheit zu signalisieren und die Struktur zwischen Arbeiten und Wohnen für die KlientInnen deutlich zu machen.

 In der Einrichtung konnte ich beobachten, dass viele KlientInnen, die an verschiedenen Arbeitsangeboten teilnehmen, aktiv auf Hrn. Kistner zugingen und ihn auf die Arbeit angesprochen haben. Beim Aufbruch zur Arbeit waren die teilnehmenden KlientInnen aufgeregt, freudig erregt. Während der Arbeit sehr konzentriert und aufmerksam. Ein Klient, der keine zielgerichteten Tätigkeiten ausführen kann oder will, bei der Arbeitseinheit aber teilnimmt, hat äußerst aufmerksam die Angestellten beobachtet und die Geräusche wahrgenommen. Die Ausführung der Arbeit wird von Hrn Kistner intensiv begleitet.

 Die Entscheidung, welche KlientInnen bei welchen Arbeitsangeboten teilnehmen wird von den BetreuerInnen nach Interesse und Fähigkeiten der KlientInnen entschieden. Z.B. Ein Mann, dem es sehr wichtig ist, dass sein Kleiderkasten penibel aufgeräumt ist und dies auch weitgehend selbstständig erledigt, faltet Handtücher in der Wäscherei.

 Nicht immer können oder wollen KlientInnen zur Arbeit mitkommen, sie haben dann die Möglichkeit, sich zu entscheiden zu Hause zu bleiben.

 Die Angestellten in einem Unternehmen, das ich besucht habe, waren im direkten Kontakt mit den KlientInnen zum Teil etwas hölzern aber bemüht und sehr freundlich, wobei aber auch kleine Momente der Entspannung zu beobachten waren. Die Kommunikation zwischen Angestellten und KlientInnen wurde hauptsächlich von Hrn. Kistner geleitet. Bei dem Unternehmen, in dem schon seit Jahren das Karton zerreißen von KlientInnen erledigt wird, war der gemeinsame Umgang zwischen Angestellten und KlientInnen sehr entspannt, fast schon freundschaftlich.

 Bei jeder Arbeitseinheit gibt es für die KlientInnen regelmäßige, definierte Aufträge, die den direkten Kontakt zwischen Angestellten und KlientInnen fördern sollen, z.B. ein Klient muss von einem Angestellten ein bestimmtes Klebeband holen.

 Von Seiten des Heims Dr. Kruse sind die Kooperationen mit den Betrieben und die dort statt findenden Arbeitsangebote akzeptiert, werden aber nicht speziell unterstützt. Aufgrund von knappen Ressourcen können nicht immer alle KlientInnen teilnehmen (zusätzliche Begleitung bzw. Geldmittel können nicht zu Verfügung gestellt werden). Alle Aktivitäten, die über die direkte Betreuung der KlientInnen hinaus geht (Vernetzungsarbeit, Organisation neuer Kooperationspartner, Vorträge, Workshops) werden von Hrn. Kistner in seiner Freizeit und auf eigene Kosten erledigt.

 Zusammenarbeit findet statt mit:

mehreren Behinderteneinrichtung, Schulen, Kindergarten in Walsrode: gemeinsame Durchführung verschiedener Arbeiten

  • Hamburger Arbeitsassistenz, Diakonie, Integrative Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: Workshops, Vorträge, Konzeptarbeit
  • Stadt Walsrode: Teilnahme an einem EU-Projekt mit dem Ziel „Teilhabe von schwerstbehinderten Menschen bei der Gestaltung der Gemeindeeinrichtungen“ (z.B. Umbau des Gemeindehauses)

 Fazit:

 Die Teilhabe von Menschen mit sehr hohem Förderbedarf am Arbeitsleben, wie in der UN-Konvention gefordert, wird in den Arbeitsangeboten, die Hr. Kistner seinen KlientInnen bietet, seit Jahren erfolgreich umgesetzt. Das aktiv gezeigte Interesse der KlientInnen an diesen Angeboten bestätigt dies sehr eindrucksvoll.

 Durch die Struktur der Angebote wird tatsächlich dem Aspekt „Begegnung“, der im Konzept „Arbeit und Begegnung“ als Ziel beschrieben wird, Rechnung getragen. KlientInnen und Angestellte der Betriebe haben die Möglichkeit, sich im Rahmen des Arbeitskontextes kennen zu lernen. Dies stellt eine wichtige Grundlage dar, dass Beziehungen entstehen können, frei von etwaigen Vorurteilen, getragen von Respekt, Wertschätzung und gegenseitigem Verständnis. Eine Erfahrung, die KlientInnen, die ausschließlich innerhalb der Werkstätte (bzw. Heim) gefördert werden, nicht erleben können. Die Beobachtungen in dem Betrieb, wo KlientInnen seit mehreren Jahren arbeiten zeigen, dass dieser Weg diesbezüglich unbedingt Ziel führend ist.

Für die KlientInnen stellen diese Angebote eine wertvolle Ergänzung zur herkömmlichen Förderarbeit dar. Aufgrund des gezeigten Interesses der KlientInnen kann man vermuten, dass die Arbeitsangebote in den Betrieben von den KlientInnen sogar als sinnvoller zentraler Bereich ihrer Förderarbeit wahrgenommen werden.

 Andrea Kaindl

 Werkstätten-Leitung

ÖHTB-Werkstätte

Untere Augartenstraße 30

1020 Wien